Big Data im Gesundheitsbereich: ein ethisches Rahmenkonzept
Ein interdisziplinäres Team erforschte komplexe ethische Fragen, welche die Big-Data-Revolution in der Medizin und der Gesundheitsforschung aufwirft. Im Mittelpunkt des Projekts standen Themen wie Risiko-Nutzen-Analyse, Einverständniserklärung, Schutz der Privatsphäre und Beaufsichtigungsmechanismen.
Porträt / Projektbeschrieb (abgeschlossenes Forschungsprojekt)
Die Nutzung von Big Data in der medizinischen Forschung erfordert die umfangreiche Erfassung, Verbreitung und Auswertung grosser Mengen persönlicher und vertraulicher Informationen. Dies birgt Risiken, welche sorgfältig evaluiert werden müssen. Zu diesem Zweck konzentrierte sich das interdisziplinäre Expertenteam auf vier Säulen:
- Neuartige ethische Herausforderungen im Gesundheitsbereich verstehen.
- Leitlinien für die ethische Bewertung von Big Data-Projekten entwickeln.
- Ein Instrument für Ethikkommissionen vorschlagen, um ihre Bereitschaft für die Gesundheitsforschung mit Big Data zu bewerten.
- Ein benutzerfreundliches Instrument sowohl für Forschende als auch für die Beaufsichtigungsmechanismen schaffen, um eine verantwortungsvolle Big-Data-Gesundheitsforschung und digitale Gesundheitsentwicklung zu gewährleisten.
Hintergrund
Immer mehr Aspekte der menschlichen Gesundheit werden in Daten umgewandelt, die sowohl klinisch als auch wissenschaftlich ausgewertet werden können. Solche Daten können nicht nur von medizinischem Fachpersonal, sondern auch von jeder Person (etwa mit dem Smartphone) selbst gesammelt werden. Die derzeitigen ethischen Richtlinien und Bestimmungen reichen nicht aus, um diesen rasanten Entwicklungen in der Gesundheitsversorgung Genüge zu tun.
Ziele
Ziel dieses Projekts war die Entwicklung eines ethischen Rahmens für die Nutzung von Big Data in der Gesundheitsforschung. Der Rahmen dient als Leitfaden für die Bewertung ethischer Fragen wie:
- Wie kann angesichts des sich entwickelnden Big-Data-Ökosystems eine verantwortungsvolle Big-Data-Forschung gewährleistet werden?
- Reichen die bestehenden ethischen Standards aus, um Big-Data- und KI-gestützte Projekte angemessen zu bewerten?
- Erfüllen die Ethikkommissionen ihre Aufgabe angesichts der neuen Herausforderungen im Big-Data-Kontext effektiv?
Bedeutung / Anwendung
Dieses Projekt hat eine sehr praktische Wirkung. Das Ethik-Toolkit vereinfacht die ethische Bewertung. Darüber hinaus werden die regulatorischen Empfehlungen –in Zusammenarbeit mit Interessengruppen und internationalen Mitwirkenden entwickelt – die Rolle der Schweiz als wichtiger Akteur in der globalen Big-Data-Gesundheitsforschung fördern.
Resultate
In den letzten 10 Jahren wurde sich die Forschungsgemeinschaft zunehmend des Potenzials von Big-Data- und KI-gestützten Technologien im Bereich Gesundheit und Medizin bewusst. In der Literatur wird jedoch nur über technische und methodische Herausforderungen und deren ethische Auswirkungen berichtet.
Die Ergebnisse zeigen, dass Privatsphäre/Datenschutz das am meisten diskutierte ethische Anliegen ist. Wenn man jedoch den Datenschutz als Allheilmittel betrachtet, könnte dies dazu führen, dass andere ethische Bedenken (z. B. Rechenschaftspflicht in der Forschung, gerechte Verteilung des Nutzens, individuelle Autonomie, Schaden auf Gruppenebene) übersehen werden. Die fragmentierten ethischen Leitlinien für die Nutzung von Big-Data- und KI-gestützter Technologie erhöhen die Unsicherheit unter Forschenden. Diese Unklarheit wird durch schwache Überwachungsmechanismen verstärkt, die durch die Neuerungen von Big Data in Frage gestellt werden. Die empirischen Ergebnisse, die im Schweizer Kontext gesammelt werden konnten, zeigen die Grenzen der Ethikkommissionen in diesem Bereich auf.
Das Projekt hat Lücken in der aktuellen Regulierungs- und Aufsichtslandschaft für die Nutzung von Big Data in der Gesundheitsforschung und der digitalen Gesundheit aufgezeigt und kommt zum Schluss, dass die Aufsichtsmechanismen für die Forschung auf verschiedenen Ebenen reformiert werden sollten. Die folgenden Empfehlungen können dazu beitragen, bestehende Lücken zu schliessen und die Prozesse zur Regelung der ethischen Datennutzung zu modernisieren:
- Überarbeitung und Erweiterung der bestehenden ethischen Standards, die über den Datenschutz und die Wahrung der Privatsphäre hinausgehen
- Überführung verstreuter und allgemeiner ethischer Leitlinien in umsetzbare Praktiken
- Festlegung von internationalen Mindeststandards für die ethisch ausgerichtete Datennutzung
- Durchführung von Reformen zur Stärkung der Rolle der bestehenden Aufsichtsmechanismen und zur Verbesserung des Review-Verfahrens
Aufgrund der Ergebnisse dieses Projekts hat Swissethics – die Dachorganisation der kantonalen Ethikkommissionen der Schweiz – ihre Vorlagen, die von Forschenden für Projekteingaben verwendet werden, geändert und erweitert.
Schliesslich haben wir ein Ethik-Toolkit entwickelt, das sowohl den Ethikkommissionen als auch den Forschenden helfen soll, über die ethische Nutzung von Big Data nachzudenken und diese zu beurteilen. Weitere Informationen über das Toolkit finden Sie auf der entsprechenden Website.
Originaltitel
BEHALF - Bigdata-Ethics-HeaLth Framework