Auf dem Weg zu einer besseren Verkehrsplanung

Das Problem ist bekannt: In Spitzenzeiten kommt es auf vielen Strassen zu Staus. Noch wird in der Verkehrsplanung Big Data fast gar nicht angewendet.

Als Daten nutzten die Forschenden unter anderem Tracking-Daten, also GPS-Daten von Smartphones. Weil diese so allgegenwärtig und einfach erfassbar sind, haben sie das Potenzial, eine unschätzbare Ressource für die Verkehrsmodellierung in der Schweiz zu sein.

Eingespeist wurden die Daten in MATSim, kurz für Multi-Agent Transport Simulation, einer Open-Source-Plattform für die Entwicklung agentenbasierter Simulationen, mit der die Forschenden bereits etwa 2006 begonnen hatten und die nun immer weiter verbessert wird. Agentenbasiert heisst, dass einzelne Personen, Agenten genannt, simuliert werden, die zusammen dann eine Population bilden. So gehen individuelle Unterschiede der Personen, also die typische Heterogenität innerhalb einer Bevölkerung nicht verloren. Mit dem Projekt des NFP 75 konnten die Analysen, wie sich die Leute bewegen und z.B. wo sich Staus anbahnen, nochmals stark verfeinert werden.

Im Projekt des NFP 75 wurden Personen direkt für Studien rekrutiert. Sie mussten eine spezielle App installieren und Fragebogen ausfüllen. Diese Vorgehensweise hat den entscheidenden Vorteil, dass zu den reinen Tracking-Daten weitere Informationen zu den Personen angefügt werden können, z.B. Alter und Geschlecht, aber auch Einkommen, Motorisierung und weiteres. Und damit können auch konkretere Fragestellungen angegangen werden, z.B. zum Mobilitätsverhalten während der Corona-Pandemie.

Anwendung: Mobilität in Zeiten der Corona-Pandemie

Im März 2020 wurden die Teilnehmenden einer früheren Befragung nochmals angefragt, ob sie ihre Tracking-Daten auch für eine Studie zum Verhalten während der Pandemie zur Verfügung stellen würden. So konnten seither von durchschnittlich über 1600 Teilnehmenden weit über eine Million Personenwege erfasst und zusammen mit den Informationen aus drei kleinen Umfragen bei den Teilnehmenden zur Arbeitssituation und zum Gesundheitszustand genutzt werden.

Die zentralen Erkenntnisse daraus sind: 1. Homeoffice ist immer mehr akzeptiert. 2. Nach dem Lockdown im Frühling 2020 sind die Menschen nicht mehr so viel unterwegs wie vor dem Lockdown.

Die Analyse der erfassten Daten zeigt sehr schön, wie sich die Verkehrsteilnahme nach dem Lockdown zwar erholt und dann stabilisiert hat, aber nur etwa 80 Prozent der Personen verlassen jeden Tag das Haus. Das liegt deutlich unter dem Anteil von ungefähr 90 Prozent von vor dem Lockdown. Die Gründe für den Rückgang sind vor allem Homeoffice, aber auch Kurzarbeit und neu arbeitslos gewordene Personen.

Ein interessantes Ergebnis der Untersuchung ist auch, dass die Unterschiede zwischen den sozialen Schichten in der Schweiz nicht sehr gross sind.

Veloboom nun auch für Arbeitsweg

Die Überraschung war und ist die erhöhte Velonutzung. Während der Anstieg anfangs vor allem ein Fitness- und Freizeitboom zu sein schien, hat eine aktuelle Auswertung der Fahrtzwecke gezeigt, dass das Velo für alle Zwecke mehr zum Einsatz kam – auch für den Arbeitsweg. Aber die Wettereffekte sind bei der Velonutzung gross.

Bekannt ist bereits, dass der öffentliche Verkehr in den ersten Wochen des Lockdown 2020 fast vollständig gemieden wurde. Vermutet wurde auch, dass Busse, Trams und Züge aber auch weiterhin nicht bevorzugte Transportmittel sind. Das ist nun bestätigt. Deren Nutzung liegt zwischen 40 und 60 Prozent tiefer; verglichen mit der Anzahl Kilometer von 2019.

Die Forschung geht weiter, z.B. für ein besseres Verständnis für unerwartete Ereignisse. Das kann ein Unfall auf einer Bahnstrecke sein, der zu tagelanger Sperrung führt, oder eine Pandemie. In einem Projekt im Rahmen des NFP 78 «Covid-19» wird MATSim für die Simulation der Pandemie-Ausbreitung genutzt.

Internationale und interdisziplinäre Kooperation

Das Projekt «Datenspuren nutzen für die Verbesserung der Verkehrssysteme» im Rahmen des NFP 75 war eine internationale und interdisziplinäre Forschungskooperation der Forschungsgruppen des Instituts für Verkehrsplanung und Transportsysteme und der Learning & Adaptive Systems Group der ETH Zürich zusammen mit Forschungsgruppen der TU Berlin und der TU Graz.