Big Data in der Praxis: Soziologie, Datenwissenschaften und Datenjournalismus
Bislang gibt es in der Methodenausbildung der deutschsprachigen Soziologie wenig bis keinen Umgang mit Big Data, obwohl die Soziologie bei der Auswertung von Big Data wichtige Beiträge leisten kann. Dieses Projekt untersuchte, inwieweit sich der soziologische Werkzeugkasten sinnvoll erweitern lässt, wenn Methoden, Instrumente und Kompetenzen der Soziologie, der Datenwissenschaften und des Datenjournalismus miteinander verknüpft werden.
Porträt / Projektbeschrieb (abgeschlossenes Forschungsprojekt)
Im Zentrum des Projekts stand die Untersuchung der Felder Soziologie, Datenwissenschaften und Datenjournalismus. In drei Unterprojekten wurden Lehrinhalte und Ausbildungsgänge im Hinblick auf Methoden, Kompetenzen und Instrumente sowie berufliche Perspektiven untersucht. Mögliche Überschneidungen der einzelnen Felder sollten verdeutlichen, wie der soziologische Werkzeugkasten erweitert werden kann und wie andere datenanalytische Felder von soziologischen Einsichten profitieren können. Die Untersuchung verband wissenschafts- und professionssoziologische Erkenntnisse mit organisationssoziologischen Ansätzen zur Entstehung neuer Felder. Bei der Untersuchung der drei Felder kamen neben den klassischen Methoden der Soziologie auch neuere Verfahren, z.B. für die Analyse von grossen Textdatenmengen, zum Einsatz.
Hintergrund
Big Data – grosse, meist unstrukturierte Datenmengen zu verschiedensten sozialen Phänomenen – birgt Herausforderungen, aber auch Chancen für die soziologische Analyse der sozialen Welt. Grundsätzlich sind Soziologen bestens für solche Analysen vorbereitet, da sie theoretische Konzepte mit empirischer Evidenz verknüpfen können. Doch die klassischerweise genutzten Methoden der Soziologie sind für andere Daten entwickelt (z.B. repräsentative Stichproben, Interviews) und eignen sich weniger gut für die Analyse von Big Data als die Methoden neuer Felder wie der Datenwissenschaften und des Datenjournalismus.
Ziele
Mit diesem Projekt wurden drei Ziele verfolgt:
(1) Das erste Ziel des Projekts bestand darin, drei datenanalytische Bereiche, d.h. Soziologie, Datenwissenschaft und Datenjournalismus, systematisch im Hinblick auf die derzeit verwendeten Methoden, Werkzeuge und Fähigkeiten zu untersuchen.
(2) Ein weiteres Ziel war es, das Wissen über die Strukturen und Mechanismen zu erweitern, die an der Erhaltung und Veränderung von Wissensdomänen beteiligt sind.
(3) Auf der Grundlage der beiden ersten Ziele bestand das dritte Ziel darin, herauszufinden, welche Methoden, Werkzeuge und Fähigkeiten die Soziologie für die Analyse von Big Data benötigt. Und umgekehrt: Welche Aspekte kann die Soziologie zu anderen Bereichen der Datenanalyse beitragen?
Bedeutung / Anwendung
Das Projekt weist auf die Herausforderungen hin, die Big Data für die Soziologie in der Lehre darstellt. Es liefert Erkenntnisse über die neu entstehenden Berufsfelder Datenwissenschaften und Datenjournalismus und zeichnet aktuelle Entwicklungen in der Soziologie nach. Darüber hinaus weist das Projekt auf die Notwendigkeit hin, die Datenkompetenz, den offenen Datenzugang und die Transversalität der Datenwissenschaften zu verbessern. Es schärft auch das öffentliche Bewusstsein für die Nutzung von Big Data.
Resultate
Die Forschungsergebnisse für den Bereich derSoziologie zeigen, dass die Methoden und ihre Vermittlung fundamental sind für die Bedeutung, Soziologin bzw. Soziologe im deutschsprachigen Hochschulbereich zu sein. Die Ergebnisse zeigen auch, dass eine stärkere Berücksichtigung und Betonung von Datenkompetenz, visueller Kompetenz und rechnergestütztem Denken in den Lehrplänen der Soziologie (und in den Sozial- und Geisteswissenschaften im Allgemeinen) auf Bachelor-Ebene den Studierenden ein besseres Verständnis datenintensiver Praktiken in den Wissenschaften vermitteln würde, aber auch darüber hinaus. Es zeigte sich, dass Big Data – sei es neu aus den sozialen Medien oder alt aus den Archiven – nur selten Teil der aktuellen Methodenausbildung ist, weder in Form von Daten noch in Bezug auf die Methoden, die für Analysen verwendet werden. Die Forschung zu den beiden anderen Datenanalysebereichen zeigt Ansätze auf, von denen die Methodenausbildung in der Soziologie profitieren könnte. In der Tat kann eine grosse Vielfalt von Datenquellen und Datentypen für soziologische Untersuchungen relevant sein. Bei den Daten muss es sich nicht nur um offizielle Statistiken oder numerische Daten handeln, sondern sie können auch aus neuen digitalen oder alten archivierten Textdaten, Bilddaten, Transaktionsdaten, Sensordaten aus einer Vielzahl von Datenquellen bestehen. Datenerfassung, -verarbeitung und -aufbereitung sind notwendige Fähigkeiten bei der Arbeit mit unstrukturierten digitalen oder sogar digitalisierten Daten. Offener Datenzugang ist wünschenswert. Das Rechnen mit Daten in Open-Source-Software erfordert Kenntnisse über Programmierpakete, Analysemöglichkeiten, rechnerisches Denken und auch, wie man reproduzierbare Arbeitsabläufe in Angriff nimmt. Datenvisualisierungen dienen als wichtige Übersetzung zwischen Daten und Erkenntnissen – auch ihre Erstellung bedarf der Schulung. Die Forschungen zu den Datenwissenschaften zeigen auch, wie wichtig die Pluralität von Methoden, Werkzeugen und Fähigkeiten ist, um Transversalität und Innovation zu ermöglichen. Daher könnte eine zusätzliche methodologische Pluralität auch der soziologischen Methodenausbildung zugutekommen. Gleichzeitig können auch Datenwissenschaften und Datenjournalismus von Kernelementen der Soziologie profitieren. In den Datenwissenschaften beziehen sich die aktuellen Curricula meist auf bestehende technisch-naturwissenschaftliche Bildungstraditionen. Soziologische Perspektiven können zu einem besseren Verständnis der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Grundlagen sowie der Folgen datenintensiver Praktiken in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft beitragen. Schlussendlich resultieren viele Arten von Big Data aus sozialen Interaktionen und sozialem Verhalten. Bei der Modellierung sozialer Daten helfen soziologische Erkenntnisse, bessere Modelle zu erstellen und bessere Erklärungen für gefundene Muster zu entwickeln.
Originaltitel
Facing Big Data: Methods and skills needed for a 21st century sociology